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Fahrradgeschichte, Frühlingsgeschichte, Geschichte für Senioren, Geschichte Frühlingsreise, Geschichte von den Sorgen, Lied Free and Easy, Musik Paul Walter, Reisegeschichte, Selbstfindungsgeschichte
Das Licht des Frühlings
„Wo finde ich den Frühling?“, fragt der Mann mit dem schweren, grauen Rucksack. „Im Frühling nämlich soll das Leben ein bisschen heller sein.“
Er hält den Rucksack, in dem er seine Sorgen verwahrt, fest in den Händen.
Lange schon sind sie auf der Suche, der Mann und sein Fahrrad. Und er fragt jeden, den er unterwegs trifft. Er bekommt auch immer eine Antwort. Die Menschen behandeln ihn nett und freundlich und fröhlich. Nur lautet jede ihrer Antworten anders.
So irrt der Mann durchs Land. Er sucht viele Orte auf, doch das Licht des Frühlings findet er nirgendwo.
Nach langer Fahrt über Berge und Hügel, durch lange Täler und weite Ebenen gelangt er ans Meer. Es regnet kalte Tränen. Aber das Meer, das gefällt ihm. Irgendwo hier würde er den Frühling finden. Ganz sicher ist er sich da. Und er fährt an der Küste des großen Meeres entlang weit und weiter nordwärts.
Noch einer ist unterwegs nach Norden. Der Winter, der selbst auf der Suche ist. Auf der Suche nach Ruhe und nach einem Platz zum Schlafen. Er reist mit dem Mann und lässt den Frühling dort, wo er herkommt, zurück.
Sie gewöhnen sich aneinander, die beiden Suchenden.
„Wo finde ich den Frühling?“, fragt der Mann, der dem Frühling immer weiter davon fährt.
Auch hier im Norden sind die Leute nett und freundlich und fröhlich.
„Den Frühling suchst du?“, fragen sie und lächeln. „Den findest du dort.“
Und sie deuten die Küste entlang nach Süden, dorthin, woher der Mann gekommen ist.
„Ihr irrt!“, knurrt der Mann und fährt weiter. Es gefällt ihm nämlich, dieses Land am nördlichen Meer.
Nach vielen Reisetagen hat er die kalte Küste am Ende der großen Insel erreicht. Eine Gegend, in der sich Winter und Sommer die Zeit teilen. Eine Landschaft, die keinen Platz bereithält für Frühling und Herbst.
Der Mann schlägt sein Zelt auf und sieht dem Winter, der weiter übers Meer gen Norden zieht, hinterher.
„Wenn es so ist, wie alle sagen, muss ich hier nur ein wenig warten“, sagt er und wirft den Rucksack den Küstenfelsen hinab ins Meer. Er braucht ihn nicht mehr.
Der Mann lehnt sich zurück und blickt zum Horizont. Er ist ruhig geworden und er genießt die stumme Zeit des Wartens. Die Tage werden heller, die Winde wärmer. Es sind Tage der Ruhe, der Stille, des wachsenden Lichts.
„Wo finde ich den Frühling?“, ruft der Mann in den Himmel hinauf.
Er lacht, denn eigentlich ist es ihm … egal.
© Elke Bräunling
Frühlingslicht
Free and Easy, Musik © Paul Walter
Suche nach dem Frühling, Bildquelle © StockSnap/pixabay
Diese Geschichte findest du in dem Buch:
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Pingback: Eine versprochene Geschichte übers Radeln ums Meer « Märchenwald
der_emil sagte:
Hm. Eine Geschichte so ganz ohne die (märchenobligatorische) Moral – oder – ach, ich weiß nicht.
Auch nach dem zweiten Lesen bleibe ich ein wenig ratlos(?)/überrascht(!)/unzufrieden mit dem Ende/zufrieden mit dem offenen Ausgang zurück.
Aber ich kann ihn verstehen, den Mann mit seinem schweren, wohlbehüteten grauen Rucksack.
Sofasophia sagte:
voll toll! danke liebe elke!
ich liiiebe märchen!
lieb grüßt sofasophia
Anna-Lena sagte:
Vielleicht sollten wir uns viel mehr mit den kleinen, unbedeutenden Dingen zufrieden geben und unsere Ansprüche runterschrauben.
Einen nachdenkenswerte Geschichte, liebe Elke.
Liebe Sonntagsgrüße
Anna-Lena
Sofasophia sagte:
da fällt mir meine kleine geschichte ein:
ein fisch zum anderen: wo ist eigentlich das wasser?
der andere: keine ahnung. ich würde meine zeit aber nicht mit so unnötigen dingen verschwenden. iss lieber und wir schwimmen ein wenig rum. das macht mehr spass als grübeln.
liebe grüsse zum zweiten mal
sofasophia
ps: ich habe grad auf irgendlink gepostet, dass du ein märchen geschrieben hast. und auch unter presse>erwähnungen gibts einen nachtrag :-)
april sagte:
Man muss ja auch nicht immer etwas in einer Geschichte suchen oder finden. Trotz des Sorgenrucksacks kommt sie mir ganz schwebend leicht vor, die kleine Geschichte. Dazu tragen nicht zuletzt die durch und durch fröhlichen Bilder von Irgendlink bei.
LG, April
klatschmohnrot sagte:
Danke für den Link und die schöne Geschichte, die mir sehr gefällt. Ich werde meinen Rucksack auch ins Meer werfen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt und dann werde ich einfach auf die Dinge warten, die dann kommen … eine gute Vorstellung.
Liebe Grüße
Regina
Märchenfrau sagte:
Ganz lieben Dank für die vielen tollen und konstruktiven Kommentare!
Es ist nicht einfach, das kleine Märchen. Und ja, Emil, ich hatte einen Schluss geschrieben, den ich dann einfach wieder weglösche (was ich sehr bei meinen Texten im Nachhinein tue). Abschlüsse empfinde ich oft als so belehrend, moralinsaurer manchmal sogar, ja, und Happy Ends, die sollten auch besser im Kopf des Lesers stattfinden. Jedes Happy End fällt dann nämlich anders aus und das ist gut so.
Ja, der Schluss ist unrund, aber man findet ihn im Text vielfach zwischen den Zeilen. Auch hier findet jeder Leser seinen eigenen Schluss für sich selbst.
Jedenfalls ist das mein Empfinden, aber ich lerne schrecklich gerne aus Kritiken.
Bitte, wenn Ihr das anders seht, bitte melden!!!
DANKE
Und ein lieber Gruß Euch sowie ein Winken zu Herrn Irgendlink im Irgendwo ;)
Elke