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Baumgeschichte, Birkengeschichte, Frühlingsgeschichte, Geschichte Birke im Frühling, Geschichte Birke in der Stadt, Geschichte vom Samen zum Baum, Kindergeschichte, Samengeschichte
Ein Zuhause für die Birke
Gleich neben der Garage hatte sich im Sommer der Same einer Birke in einer Ritze zwischen zwei Pflastersteinen verirrt. Und weil er dort ein wenig Sand fand, machte er eine Flugpause und kuschelte sich zu einem Schläfchen ein. Es war so gemütlich hier, dass er den Herbst und den Winter verschlief. Schneeflocken und Eiskristalle leisteten ihm Gesellschaft, und als der Frühling kam, verabschiedeten diese sich mit Tränen von ihm. Die Tränen der Winterkinder schmeckten süß und der Birkensame hatte Durst. Begierig kostete er die Süße und trank sie in sich auf.
Nun könnte ich weiter fliegen und nach einem neuen Zuhause im Wald oder im Park oder auf einer Wiese suchen, überlegte der Same. Doch zum Fliegen fühlte er sich auf einmal so schwer. Außerdem kitzelten ihn leise Stiche. Es zwickte hier, es zwackte da, und schon bohrten sich zarte Wurzeltriebe einen Weg aus der Samenhülle. Sie drangen in den Sand ein und hielten sich tief im Boden fest. Da begriff der Same, dass er sein neues Zuhause längst gefunden hatte in den Pflastersteinen neben der Garage mitten in der Stadt.
‚Viel trinken muss ich nun’, nahm er sich vor. ‚Und Triebe muss ich bilden. Schnell müssen die wachsen. Schnell und hoch der Sonne entgegen. Und dann, ja, dann wird aus mir ein stattlicher Baum werden.’ Er kicherte leise. ‚Ein Zauberbaum. Schließlich gelingt es nicht jedem meiner Samenkollegen, zwischen Steinen zu wurzeln und zu einem rechten Baum heranzuwachsen.’
Der Same gab sich Mühe und ein kleiner Trieb wuchs aus den Steinen heraus. Er beeilte sich, denn er sehnte sich nach Licht. Schnell bildete er Zweige, die sich nach allen Seiten dem Licht zureckten. Sobald die kleinen Birkenzweige erste Lichtstreifen erhaschen konnte, verspürte der Same wieder ein leises Kitzeln und ihm war, als flüsterten zarte Stimmchen:
„Gib uns frei! Wir wollen die Welt sehen, den Himmel und die Sonne.“ Die Blätter waren es, die ihre Blattknospen verlassen wollten.
Tief atmete da der Same, aus dessen Bauch inzwischen unzählig viele kleine Wurzelstränge wuchsen, durch und sog das Licht in seinen Trieb und in die Blattknospen. Eines warmen Apriltages war es dann soweit: Die Knospen platzten – pling plingplingpling pling – auf und junge Blätter entfalteten ihr zartes Frühlingsgrün.
Der Same war zufrieden. ‚Geschafft!’, dachte er und kuschelte sich noch ein bisschen fester in den Boden unter den Pflastersteinen. ‚Jetzt bin ich ein Baum geworden. Ein kleiner Baum. Ein klitzekleiner, um genau zu sein. Ich glaube, ich habe meinen Job gut gemacht. Oder?’
© Elke Bräunling
Birkensamen, Bildquelle © hansbenn/pixabay
Joona sagte:
Nicht nur die Birke hat ihren Job gut gemacht. Auch DU, denn diese Geschichte ist einfach wunderschön geschrieben !!
Liebe Grüße Joona
Märchenfrau sagte:
Danke, Joona. Der Anlass zur Geschichte war allerdings ein trauriger. Kinder hatten mit Stecken eine Birke, die im Asphalt am Rande unserer Garage wuchs und schon fast 2 m hoch war, zu Tode geprügelt. Im letzten Jahr. Einfach so aus Zerstörungswut. Als ich sie ganz ruhig und freundlich (was mir in dem Moment sehr schwer fiel) fragte, warum sie das machten und ob sie sich einmal überlegt hätten, das dies der Birke sehr weh täte, haben sie mich groß angeschaut und sind dann schreiend davongelaufen: „Mama, die Frau ist böse. Sie schimpft mit uns!“
Ja, dann allerdings habe ich geweint … und später diese Geschichte geschrieben.
Irgendwie, fällt mir da auf, hat fast jede Geschichte eine Geschichte.
Lieber Gruß
Elke
Lore Platz sagte:
hat er gut gemacht und wieder einmal die Stärke der Natur bewiesen. Du hast es wunderbar erzählt und es ist schön wie du den Kindern die Natur näher bringst. Ich bin zwar kein Kind mehr, aber ich liebe inzwischen eure Geschichten.
Waldameise sagte:
Liebe Elke,
wenn ich das so lese, hab ich ein ganz schlechtes Gewissen, all die „werdenden Ahornbäumchen“ aus unserer Wiese zu reißen. Es müssen hunderte sein, die bei ihrem lustigen Windtänzchen Ende letzten Jahres überall in unserem Garten den Boden unter ihren kleinen Samenfüßchen gesucht haben, um sich dort zu verankern.
Aber mein Garten hat keinen Platz für hunderte Ahornbäumchen. Ich fürchte, die Ahornnasen haben nicht soviel Glück wie dein Birkensame.
Danke für deinen lieben Besuch!
Einen wunderschönen Frühlingsbeginn morgen wünscht dir und der kleinen Birke
die Waldameise
Märchenfrau sagte:
Danke, liebe Andrea,
ich werde der kleinen Birke von deinen Ahornbäumchen erzählen und wahrscheinlich wird sie mir sagen: „Sag Frau Waldameise, sie soll alle hundert und mehr Ahörnchen auspflanzen und am Ufer des großen Flusses, an dem sie lebt, wieder einpflanzen.“
Tja … Wenn Birken träumen … ;)
Einen schönen Frühlingsbeginntag wünschen wir dir und den Ahörnchen
Elke und die Birke
:)
Waldameise sagte:
So schlecht sind die Träume der kleine Birke nicht. Das könnte mir auch gefallen … einen eigenen Indian Summer ganz in meiner Nähe … wär das schööön … seufz.
:-)